Management 2.0?

Einen interessanten Artikel zum Thema Management fand ich im The Wall Street Journal (WSJ) vor einigen Wochen: „The End of Management – Corporate bureaucracy is becoming obsolete. Why managers should act like venture capitalists“.

Der Artikel startet mit dem Zitat des Managementgurus Peter Drucker, dass Management die wichtigste Innovation des 20. Jahrhunderts ist und stellt die Frage, ob diese Innovation das 21. Jahrhundert erleben bzw. überleben wird.

Ich hatte mir mehr konkrete Ansätze zu einer Antwort auf die aufgeworfene Frage erwartet oder gewünscht, als ich den Artikel begann, habe aber mit fortschreitender Lektüre die aufgezeigte Argumentationskette als überaus interessant und nachvollziehbar empfunden. Sie unterstützt dabei die Wichtigkeit der Themen, die Auslöser für diesen Blog waren und sind – Management und Innovation!

Die Argumentationskette beginnt 1776, als Adam Smith sich in seinem Klassiker „Wealth of nations“ mit den Auswirkungen der Arbeitsteilung beschäftigt und die Auswirkungen von Eigeninteresse auf die Gesellschaft beschrieb. 100 Jahre (Fortschritt) später befinden wir uns mitten in der industriellen Revolution – fortan standen deutlich komplexere Tätigkeiten im Vordergrund. Und mit ihnen stieg der Bedarf an Organisation der Ressourcen und Menschen zur Erreichung der Unternehmensziele – der Bedarf am Management großer Organisationen, wie wir es heute kennen, war geboren und mit ihm das zentrale Problem der Industrialisierung.

Hierfür war das Management, wie Peter Drucker es definiert, die Lösung – aber mit dem Problem bzw. seiner Lösung geht die Notwendigkeit nach Bürokratie einher. Die Aufgabe eines Managers (siehe auch Wikipedia) ist „die Planung, Durchführung, Kontrolle und Steuerung von Maßnahmen zum Wohl des Zweckes der Organisation bzw. des Unternehmens und aller daran Beteiligten (Anspruchsgruppen = Stakeholder) unter Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden betrieblichen Ressourcen“ – oder vereinfacht die Ertüchtigung und Bewahrung der Organisation zur wirtschaftlichen Produktion ihrer Güter für den Markt? Damit ist dieses Ziel aber erst einmal konträr zu Innovationen – zum wirtschaftlichen Handeln paßt auf den ersten Blick keine risikofreudige Investitionsbereitschaft. Auch Geschwindigkeit geht zwangsläufig in einer großen Organisation verloren – der Vorteil der oft zentralen Steuerung und Optimierung zum Wohl des Unternehmens geht mit dem Nachteil der dafür notwendigen Bürokratie einher.

Der Sprung in die aktuelle Gegenwart landet dann in dem, was Economist Joseph Schumpeter als „die Kraft der kreativen Zerstörung“ bezeichnete. Dabei sind es weniger die oft zitierten Kräfte, die auf die Märkte einwirken (wie rasante Globalisierung und Innovationen, unerbitterlicher Wettbewerb) als vielmehr zwei Zahlenspiele, die die Dramatik der heutigen Veränderungsgeschwindigkeit von Märkten beeindruckend belegen. Ein Stichtagsvergleich zwischen dem S&P500 zum Start (vor 63 Jahren) und heute zeigt, dass von den ursprünglich 500 Unternehmen sich heute gerade noch 20% im Index befinden. Spannenderer Vergleich: Das Radio brauchte 38 Jahre und das Fernsehen 13 Jahre um 50 Millionen Menschen zu erreichen – dem Internet gelang der gleiche Schritt in 4 Jahren, dem iPod in 3 Jahren und Facebook hat dies nach gerade einmal zwei Jahren erreicht!

Diesen Veränderungen und ihrer Geschwindigkeit, so die Aussage des Artikels, wird man mit dem aktuellen Management nicht mehr gerecht – und welches Unternehmen überleben will, das muss sich der Geschwindigkeit anpassen und mit den Themen Innovation und Innovationsmanagement auseinandersetzen. Beispiele für die Bedeutung von Geschwindigkeit gibt es zuhauf: von heute auf morgen insolvent gehende, alt ehrwürdige Institute wie Lehman Brothers oder blitzartig aufsteigende neue Unternehmensgrößen wie Google.

Eines der von dem CEO Circle des WSJ im letzten Jahr am meisten beachteten Bücher, The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren, beschreibt, dass Marktführer radikale, sog. game-changing, Innovationen in ihren Märkten verpassten – nicht weil sie schlecht managten, sondern weil sie sich an das hielten, was gutes Management bislang bedeutete: sie sammelten Kundenfeedback ein, betrieben Marktstudien und ermittelten Markttrends. Aber alles, was sie taten, war eher Evolution als Innovation und das ist im Internet-Zeitalter oft nicht mehr ausreichend. In den heutigen Märkten und mit der aktuellen Geschwindigkeit technischer Möglichkeiten müssen die Unternehmen sich mehr mit der Revolution, den disruptiven Innovationen, auseinander setzen.

Soweit kann ich das gut nachvollziehen. Aber dann wird ein zweiter Aspekt aufgegriffen, den ich schwierig finde. Der britische Nobelpreisgewinner Ronald Coase bezeichnet in seinem 1937 erschienenen Artikel „The Nature of the Firm“ das Unternehmen als hierarchisches Vertragsgeflecht zur Reduktion der Transaktionskosten die richtigen Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt für die richtigen Aufgaben zu bekommen. Aus dieser Interpretation und den Aussagen jüngerer Büchern zur „Zusammenarbeit der Massen“ – mit den Beispielen von Wikipedia oder dem Linux-Betriebssystem – kann gefolgert werden, dass Unternehmen als Organisationen und Management zur Steuerung dieser Organisationen für die Zukunft nicht mehr notwendig sind. Komplexe Systeme können von zahlreichen, unterschiedlichsten Mitarbeiter auf unterschiedlichen Kontinenten mit wenig oder keiner Managementstruktur entstehen, Hierarchien werden überflüssig. Ich bin bei diesem Punkt aber eher skeptisch, was im Artikel übrigens auch durch den Hinweis „Even the most starry-eyed techno-enthusiasts have a hard time imagining, say, a Boeing 787 built by mass collaboration.“ repräsentiert wird.

Der Artikel befasst sich dann noch mit den größten Herausforderungen, die aus der obigen Argumentationskette folgen, zum Beispiel dem Dilemma des Investors die richtige, lohnenswerte Innovation zu finden („The single biggest reason companies fail, is that they overinvest in what is, as opposed to what might be.“ von Gary Hamel). Und natürlich wird auch dem Faktor Mensch ein hoher Stellenwert zugerechnet – in der Notwendigkeit Strukturen zu erzeugen, die Mitarbeiter zu motivieren und zu inspirieren.

Als Zusammenfassung gefällt mir folgendes Zitat aus diesem Artikel (übrigens nach dem „The Wall Street Journal Essential Guide to Management“ von Alan Murray) am besten:

We have both a need and an opportunity to devise a new form of economic organization, and a new science of management, that can deal with the breakneck realities of 21st century change.

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