In der E-Mailflut über Wasser bleiben…

Nach Angaben der Radicati Group, einem kalifornischen Marktforschungsunternehmen, bekamen Amerikaner im Jahr 2012 durchschnittlich 75 berufliche E-Mails pro Tag und haben 35 gesendet. Wenig überraschend sagt Radicati auch voraus, dass diese Zahlen bis 2016 steigen werden. Bereits im letzten Blogpost dieser Serie Was spricht denn eigentlich gegen E-Mail hatte ich von der steigenden E-Mailflut berichtet und den Schluss gezogen, dass nicht das Medium (E-Mail) das Problem ist, sondern unser Umgang damit. Wie können wir also die Handhabung von E-Mails verbessern, um weniger Zeit für die reine Kommunikation aufbringen zu müssen (Ziel ist also nicht, die Anzahl von E-Mails auf null zu bringen, sondern die Effizienz dieses ja durchaus sinnvollen Mediums zu erhöhen)? Das soll dieser Blogpost beleuchten.

Als Empfänger – was kann ich tun?

Es ist naheliegend mit dieser Perspektive zu beginnen, weil wir als Empfänger von E-Mails ja erst einmal in der passiven Rolle sind und nicht selber definieren können, wie viele E-Mails uns (und wann) erreichen. Klar ist auch, dass jede E-Mail von außen und für uns „unvorbereitet“ kommt und so – bei mangelnder Disziplin – unsere (gefühlten) Prioritäten verschiebt. Der Blick nach jedem Klingelton als Ankündigung in eine neue E-Mail kann diese als dringliche Aktivität in unserer aktuellen Aufmerksamkeitsskala weit nach oben bringen. Doch analog dem Eisenhower-Prinzip ist nicht jede dringliche Angelegenheit wichtig (damit auch nicht jede E-Mail) und deshalb nicht unmittelbar in unserer Prioritätenreihenfolge ganz oben einzusortieren. Durch diesen von außen ausgelösten Impuls fühlt sich jedoch jeder Empfänger leicht als Opfer oder Leidtragender einer E-Mailflut.

Ich selber habe, um mit ähnlichen Anzahlen in meinem Posteingangskorb umgehen zu können, verschiedene Regeln umgesetzt. Zunächst erst einmal gilt, dass ich in Meetings – der Konzentration auf die zu besprechenden Themen wegen – nur in den allerseltensten Fällen E-Mails lese, eigentlich nur, wenn ich bestimmte Informationen brauche oder erwarte. Dadurch habe ich zwar keine Ablenkung durch die Ankündigung einer neuen E-Mail, aber es entsteht ein neues Problem: ich habe oft von 9 bis 17, 18 Uhr durchgehend Termine, mit maximal einer Stunde Mittagspause. Wenn ich also „Herr meiner E-Mails“ werden oder bleiben will, benötigte ich Unterstützung, sofern ich nicht jeden Morgen oder Abend stundenlang meine E-Mails durchsehen und bearbeiten will.

Implementiert sind zum einen einfache, technische Regeln. E-Mails, in denen ich in cc stehe, die ich diesem Zweck nach also „nur“ zum Lesen in Kopie bekomme, werden per Regel automatisch (durch das E-Mailprogramm) in einen eigenen cc-Ordner verschoben. Dort hinein lasse ich auch Newsletter per Regel sortieren. Dieser Ordner ist also ein reiner Informationsordner, den es abzuarbeiten gilt, wie eine Zeitung oder ein Magazin durchgeblättert wird.

Dann habe ich zum anderen den Vorteil, dass ich seit über zehn Jahren jeweils mit Assistentinnen zusammenarbeite, denen ich meinen Posteingang freigeschaltet habe. Das wissen meine Mitarbeiter und Kollegen und firmenintern ist es sowieso üblich, vertrauliche E-Mails verschlüsselt zu senden. Selbstverständlich ist die Assistenz trotzdem eine besondere Position, da insbesondere auch externe E-Mails oder die unverschlüsselten Betreffzeilen von verschlüsselten E-Mails natürlich einen vertrauenswürdigen Umgang benötigen und ich also eine loyale Mitarbeiterin an dieser Stelle in unter Umständen brisante Themen einbeziehe.

Ordnerstruktur gegen E-Mailflut
E-Mail Ordnerstruktur
Der Eingang der restlichen E-Mails (ohne die technisch aussortierten Newsletter und cc-E-Mails) wird von meiner Assistentin bearbeitet, während ich den Hauptteil meines Tages in Besprechungen bin. Zur Bearbeitung gibt es im Wesentlichen zwei Ordner, „todo“ und „Info, lesen“. Jede E-Mail wird nun von ihr auf Aufgaben, die ich bearbeiten muss, bewertet. Sollte es sich nur um eine E-Mail handeln, die ich zur Information bekomme (manchmal einfach an einem beginnenden „FYI“ zu erkennen, aber das ist leider eher in seltenen Fällen so), dann kommt diese in den Ordner „Info, lesen“. Ebenso wandern hier die regelmäßigen Projekt- oder Abteilungsberichte hinein, die ich per E-Mail bekomme.

Sind dagegen von mir Informationen oder Aktivitäten gefragt, muss ich also aktiv werden, dann kommen diese in den Ordner „todo“. Kombiniert mit dem Ziel, dass möglichst keine E-Mails im Posteingang selber sind, habe ich dann für meine E-Mails eine klare Vorsortierung zur Bearbeitung zur Verfügung: am Anfang einer jeden E-Mailbearbeitung schaue ich in den Ordner „todo“ und verschaffe mir einen Überblick, über das, was ich selber erledigen muss beziehungsweise arbeite diese Mails, soweit das direkt geht, ab. Danach dann schaue ich mehr oder weniger regelmäßig in den „Info, Lesen“ Ordner und allerdings nur sehr sporadisch in den cc-Ordner. In letzteren schaue ich tatsächlich sehr selten ohne direkten Anlass hinein. Aber oft gibt es in Besprechungen angesprochene Themen, die mich veranlassen nach Informationen hierzu zu suchen und das dann auch in den cc-Ordner zu Themen, bei denen ich nicht regelmäßig involviert bin.

Die abgearbeiteten beziehungsweise gelesenen E-Mails gehen dann entweder direkt in den Archivordner (wenn sie mit der Abarbeitung erledigt sind) oder zur Wiedervorlage – sei es, weil ich eine Aufgabe weiterdelegiert habe oder sie noch nicht selber abschließend bearbeiten konnte. Die Wiedervorlage realisiere ich übrigens, indem ich die E-Mails in Aufgaben im Mailprogramm Outlook umwandele und die E-Mails selber wieder direkt archiviere.

Alle paar Wochen oder wenigen Monate archiviere ich dann auch die cc-Mails, die älter als ein bestimmtes Datum sind (keine feste Regel oder Berechnung, sondern aus dem Gefühl heraus). Wenn ich sie bis dahin nicht gelesen (und dadurch sowieso nach der Lektüre direkt archiviert) habe, dann sind sie ungelesen im Archivordner genauso wertvoll wie vorher ungelesen im cc-Ordner.

Übrigens habe ich gute Erfahrungen mit lediglich einem Archivordner gemacht – keine Differenzierung nach Projekten, Rollen oder anderem. Alle empfangenen (inklusive in cc erhaltenen) E-Mails gehen ohne weitere Sortierung und das heißt insbesondere ohne weiteren Aufwand in diesen einen Ordner hinein. Lediglich aufgrund der Größe des Ordners, in dem alle eingegangenen E-Mails – unabhängig davon, ob sie vorher zur Bearbeitung in „todo“, „Info, Lesen“ oder „cc-Mails“ waren – archiviert werden, trenne ich hier nach Halbjahren. Also eine einfache Benennung einzelner Archivordner nach „FY-2013-HJ1“ (Fiscal Year 2013, Half Year 1), „FY-2013-HJ2“ etc. Für von mir gesendet E-Mails gibt es dann noch einen eigenen Archivordner für jeden Zeitraum.

Als Sender – was kann ich tun?

Neben dem Umgang mit der „empfangenen E-Mailflut“ sollte man als E-Mailabsender auch als gutes Beispiel vorangehen (das halte ich persönlich als Aufgabe für eine Führungskraft in den allermeisten Bereichen sowieso für sehr wichtig) und nicht selber die E-Mailflut für andere verschlimmern.

Dazu gehört insbesondere, siehe auch mein letzter Blogpost zum Thema E-Mailflut, dass man sich die Mühe macht, zu überlegen und genau zu bewerten, wer eine Information und damit eine E-Mail wirklich braucht. So gibt es typischerweise oft Anfragen an eine Gruppe von Empfängern, in der Antworten eingesammelt und später in einer Besprechung vorgestellt gegebenenfalls sogar diskutiert werden. Bei solchen E-Mails stelle ich mir die Frage, ob die ganze Gruppe meine Antwort schon per E-Mail braucht (und liest), oder nur derjenige, der die Antworten zusammenstellt – im Meeting werden die eingesammelten Informationen dann ja sowieso für die ganze Gruppe vorgestellt.

Ein zweiter Punkt betrifft vordefinierte Empfängerlisten. Ihre Entstehung folgt meistens gut gemeinten Ideen, zum Beispiel vereinfacht es in einigen Fällen alle – ansonsten einzeln zu selektierenden – Empfänger einer Gruppe (wie z.B. „alle Vertriebsmitarbeiter“) zu adressieren. Die bloße Existenz solcher Listen, insbesondere wenn sie von allen Mitarbeitern verwendet werden können, verleitet aber auch andererseits zu Bequemlichkeit – lieber schnell an die Liste xy schreiben als zu überlegen, wer wirklich zum korrekten Adressatenkreis gehören würde. Hier wird also gerne die Arbeit auf den Empfänger verschoben („ist diese E-Mail jetzt relevant für mich oder nicht?“) anstatt sie als Sender selber zu erledigen.

Eine weitere, sinnvolle Perspektive

Zusätzliche gute Empfehlungen las ich in einem Blogpost von Pierre Audoin Consultants, PAC, die quasi noch eine weitere „Ebene“ neben dem Empfänger und dem Sender zur Problemlösung einführen: generelle Prozesse im Unternehmen, die, richtig definiert und aufgesetzt, ebenfalls die E-Mailflut (allgemein) reduzieren helfen können.

Dazu gehört ein funktionierendes Wissensmanagement oder zumindest eine zentrale Anlaufstelle für Informationen im Intranet. Das versuche ich auch in meinem Bereich mit einer Startseite für meine Abteilungen, auf der wir Hinweise und Links auf häufig nachgefragte und benötigte Informationen zentral aktuell halten. Diese Anlaufstelle soll Nachfragen wie „wo finde ich aktuelle Formulare, Informationen, …“ eindämmen und so das E-Mailaufkommen reduzieren.

Interessant finde ich auch noch die Folgerung im erwähnten Artikel, dass Manager, wenn sie ihren Mitarbeitern ad hoc Fragen stellen müssen, nicht funktionierende Prozesse oder ein nicht funktionierendes Reporting haben. Denn eigentlich sollten alle (sagen wir aus meiner Sicht zumindest: die meisten) Antworten im normalen Prozess beim Manager ohne Nachfragen bekannt oder (zum Beispiel in seinem E-Mailarchiv) recherchierbar sein. Wenngleich ich diesen Ansatz für richtig und erstrebenswert halte, so glaube ich dennoch nicht an eine hundertprozentige Einlösbarkeit, aber je häufiger ad hoc Nachfragen notwendig sind – das kann man, glaube ich, schon folgern – umso mehr ist im normalen Informationsprozess etwas zu überarbeiten.


Takeaways:

  • Nicht das Medium E-Mail, sondern unser Umgang damit ist ein potenzielles Problem
  • Wir sind nicht nur „Geschädigte“, sondern können selber vorbildlich für eine Besserung agieren
  • In der Rolle als Empfänger können wir
    • neu ankommende E-Mails nicht in der Prioritätenreihenfolge per default ganz oben einsortieren und bearbeiten
    • technische Regeln zur automatische Umsortierung von Newslettern oder Infomails per cc in einen eigenen „cc-Ordner“ einrichten
    • bei Möglichkeit zur Unterstützung durch Assistenz einfache Vorsortierungen nach „todo“ und „Lesen, Info“ vornehmen lassen
    • E-Mails konsequent nach der sich dann ergebenden Priorität („todo“ zuerst) abarbeiten und nicht ablenken lassen
    • keinen Aufwand in Archivierungsstrukturen aufwenden, sondern einen Archivordner im Zweifelsfall mit Suchwerkzeugen bearbeiten
  • In der Rolle als Sender können wir
    • mit gutem Beispiel vorangehen und E-Mailversand auf Notwendigkeit prüfen
    • Empfänger entlasten, indem wir als Sender nur an die korrekten und wirklich notwendigen Adressaten schreiben
    • nicht der Bequemlichkeit halber große Verteilerlisten verwenden
  • Zusätzlich können wir
    • mit einem funktionierenden Wissensmanagement Nachfragen per E-Mail reduzieren
    • mit einem funktionierenden Berichtswesen Nachfragen per E-Mail reduzieren



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