Das große Ziel – Arbeit 4.0?


Dieser Artikel ist Teil der Blogparade „New Work 2016 – Vom Hype zum Alltag?“ auf der Seite The-New-Worker.com von Bastian Wilkat.


Wie sieht das große Ziel – die Arbeit 4.0 – aus?

Was ist das eigentlich, die Arbeit 4.0? Sind wir im Zielzustand alle als digitale Nomaden unterwegs, arbeiten am Strand oder in der Kaffeebar auf dem Laptop über WLAN, tippen am Flughafen oder an der Bushaltestelle wartend wichtige Emails und telefonieren über Facetime oder kommunizieren nur noch per WhatsApp? Ist das schon die von manchen „sehnsüchtig“ erwartete New Work? Technisch geht das heute schon alles, haben wir also die Arbeit 4.0 schon realisiert?

Nein, natürlich nicht – Fortschritt sollte nicht über existierende Tools und Technologien bewertet werden, sondern daran, wie wir mit ihnen Prozessen anders gestalten, neu erfinden und leben können. Diese „neuen, veränderten Prozesse“ sind es eigentlich, die die Revolution ausmachen und die Größe des „Fort-Schritts“ erkennen und einschätzen lassen.

Ich glaube, dass es „die Arbeit 4.0“ gar nicht gibt, sondern sich diese je nach Betrachtungswinkel ganz unterschiedlich darstellen wird: für mich als Mensch in meiner Lebenssituation anders als für meinen Nachbarn in seiner eigenen, anderen Lebenssituation. Für einen Konzern anders als für sein mittelständisches Tochterunternehmen, für das wiederum anders als für ein anderes Unternehmen in einer gleichen Branche. Wobei – die Rahmenbedingungen für die Arbeit 4.0 werden von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein – die wirkliche Ausprägung der Arbeit 4.0 vermute ich aber eher auf der Ebene der einzelnen Person – also beispielsweise auch für meine aktuelle Position und Rolle anders als für die meines Kollegen oder wahrscheinlich auch meine eigene Rolle und Position in zwei, drei Jahren.

Mein Verständnis von Arbeit 4.0 ist deshalb leichter mit dem allgemeinen Ziel und der Einstellung zu beschreiben, die sich aus den folgenden beiden Zitaten dazu ergibt:

  • Im Vorwort zum Grünbuch Arbeit 4.0 schreibt unsere Arbeitsministerin, Andrea Nahles: „Wir erleben derzeit einen grundlegenden kulturellen Wandel mit neuen Ansprüchen an die Organisation von Arbeit….Wir wollen ein individuelles Leben„.
  • Im Schlusswort des sehenswerten Filmes Augenhöhe (den Film und meine Einschätzung finden Sie im Blogpost „Filtmtip: Augenhöhe“) sagt eine Diplom-Designerin: „Ich bin hier zwar fest angestellt und wir haben Vereinbarungen und natürlich erbringe ich Leistung, und das sehr gerne, aber mein Freiheitsgefühl darf davon nicht beschnitten werden„.

Ganz ähnlich ist übrigens auch die in der Wikipedia enthaltene Definition von New Work des austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann, deren zentrale Werte Freiheit, Selbständigkeit und Teilhabe an Gemeinschaft sind. Der Begriff „Arbeit 4.0“ ist übrigens derzeit noch nicht in der Wikipedia zu finden.

Arbeit 4.0 sollte somit nach meiner Interpretation wohl vielmehr als die Möglichkeit und Wahlfreiheit für uns als Individuen, uns unsere Arbeit so einzurichten, wie wir sie gerne hätten, verstanden werden.

Was macht denn dann jetzt die Arbeit 4.0 aus?

Im Grünbuch heißt es dazu „Arbeit 4.0 wird vernetzter, digitaler und flexibler sein“. Ich persönlich kann man mich dem Thema am besten nähern, in dem ich mir die drei Dimensionen oder Ausprägungen der Wissensarbeit anschaue, die Professor Dr. Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), in verschiedenen Publikationen eingeführt hat:

  • der Ort: von einem fixen Ort (zum Beispiel: Büro) bis hin zu mobilem Arbeiten
  • die Zeit: von einer fixen Zeit (zum Beispiel Schicht- oder Kernarbeitszeit) bis hin zu freier, eigener Zeiteinteilung
  • Struktur: von einer fixen Organisation (zum Beispiel in einem festen Unternehmen) bis hin zu einer dezentralen „Aufgabenverteilung“

Wesentlich ist dabei für mich nicht, dass ich in der Arbeit 4.0 mobil, in eigener, freier Zeiteinteilung und mit einer dezentralen Aufgabenverteilung arbeite (also in allen Dimensionen die größtmögliche Freiheit nutze), sondern die Möglichkeit habe, für jede Dimension (Ort. Zeit, Struktur) die zu meiner aktuellen Lebenssituation passende Ausprägung auszusuchen und umzusetzen.

Und die Technik? Natürlich werden in Unternehmen vermehrt Tools eingesetzt, die für diese neue Arbeit überhaupt erst einmal Voraussetzung sind oder zumindest wären: Smartphone und Laptop, Blogs, Social Networks, Video- und Webconferencing-Tools und vieles mehr. Man könnte nun also der Versuchung erliegen, die neuesten Umfragen zur Durchdringung unserer Unternehmen mit diesen Tools anschauen und den Status oder Fortschritt der Arbeit 4.0 in unseren Unternehmen daran orientiert zu bewerten. Naja, kommen wir noch einmal zum Anfang zurück: der Fort-Schritt bemisst sich nicht an der Existenz der Tools und dem Umfang ihres Einsatzes, sondern der wirklichen Veränderung von Prozessen. Es ist also bei weitem nicht Arbeit 4.0, wenn wir unseren Büros sitzen, dabei in einem Unternehmens-Blog lesen, uns über ein Social Enterprise Network mit Kollegen austauschen und an der Bushaltestelle oder am Wochenende zuhause in die Mails schauen (können).

Ein anderes Beispiel: Ich war Mitte November in München auf dem DOXNET-Tag, einer Veranstaltung, die sich dieses Mal mit den Themen Industrie 4.0 und zeitgemäßer Führung beschäftigte. Unter anderem gab es zwei sehr interessante Vorträge vom Fraunhofer IAO, darunter den von Dr. Stefan Gerlach zum Forschungsprojekt „KapaflexCy“, Kapazitätsflexibilität mit Cyber-physischen Systemen für eine Industrie 4.0. In diesem Projekt wird – vereinfacht gesagt – mit Hilfe einer App die Planung von Schichten beziehungsweise die von zusätzlichen Schichten, zum Beispiel an Wochenenden, unterstützt. So werden zu besetzende Schichten festgelegt, es können abzufragende Mitarbeiter für diese Schichten definiert werden, die dann auf ihrem Smartphone die geplanten Zeiten sehen und eine Übernahme der Tätigkeit je Schicht bestätigen oder ablehnen können.

Ein interessantes Beispiel, welches aus meiner Sicht konsequent zu Ende gedacht und umgesetzt einen guten Schritt in Richtung Arbeit 4.0 gehen würde: In Zukunft könnte ja sogar nicht nur eine spezielle Schicht geplant werden, sondern wie auch Dr. Gerlach ausführte, rein theoretisch eine völlige Flexibilisierung umgesetzt werden: als Mitarbeiter sage ich, an welchen Tagen ich wann und vor allem auch wie lange ich arbeiten will. Also kein Korsett von Früh-, Spät- und Nachtschicht, sonder eher „morgen von 10 bis 14 Uhr (weil ich was erledigen muss), dafür dann übermorgen von 8 bis 18 Uhr (um einen Teil der fehlenden Stunden von morgen wieder aufzuholen)“. Mit genügend Mitarbeitern, die ähnlich flexibel agieren, kann sich so theoretisch eine vollständige Schichtenplanung „von selber“ ergeben. Und um potenziell entstehenden Lücken vorzubeugen, könnte man Regeln definieren („nur maximal zwei Tage die Woche weniger als 7,5 Stunden Tagesarbeitszeit“, „jeder einmal pro Woche bis 20 Uhr“) und am Ende wäre noch der Schichtleiter als Vorgesetzter da, der „das letzte Wort“ hat, um eine funktionierende Schicht (in Bezug auf die notwendige Anzahl Mitarbeiter und auch Qualifikationen beispielsweise) sicherzustellen.

Was aber ist der aktuelle Stand? Der vorgestellte Einsatz im Beispielunternehmen war, so habe ich es im Vortrag verstanden, leider nur ein Pilotprojekt. Das heißt insbesondere, dass es eine kleine Gruppe an ausgewählten Mitarbeitern war, die diese App nutzen konnte. Der Betriebsrat hatte dem Pilotprojekt zugestimmt, allerdings war es auch nur zeitlich befristet – und danach wurde wohl erst einmal wieder zur alten Situation zurückgegangen. Statt die Diskussion beziehungsweise in diesem Fall vielleicht sogar „Intelligenz der Crowd“ zu nutzen, nämlich die Mitarbeiter sich selbst untereinander abstimmen zu lassen, wer wann arbeitet, wurden die Anfragen und die Antworten zentral über den Gruppen- oder Abteilungsleiter geleitet, d.h. im Endeffekt durch eine zentrale Instanz (mit-)gesteuert.

Nun ist es zugegebenermaßen schwierig unter den heutigen Rahmenbedingungen auf dem Weg zur Arbeit 4.0 voranzukommen. Alle beteiligten Parteien (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertretungen) müssen sich aufeinander zu bewegen und auf einen Kompromiss einigen. Ansonsten bleiben diese Ideen gute Ansätze, kommen aber quasi nie in den Status der Umsetzung. Ein weiteres Beispiel können Sie in meinem Blogpost zur Einführung eines sogenannten Community Mirror nachlesen: bei der Installation eines (noch nicht einmal wie eigentlich definiert: interaktiven) Bildschirms sind dermaßen viele Rahmenbedingungen zu beachten, dass der ursprünglich damit verbundene Sinn der Information oder gar Interaktion durch die übrig bleibenden, erlaubten Standorte zur Aufstellung nahezu verloren ging.

Wie sagt Thomas Sattelberger im oben zitierten Film Augenhöhe so schön: „Ein Börsen-notiertes Unternehmen hat per Definition signifikant weniger Spielräume für Demokratisierung, Individualisierung und Souveränität.“ Diese Einschränkungen können aus verschiedenen Richtungen und beteiligten Gruppen kommen – und auch wenn sie gut gemeint sind: es stimmt, Einschränkungen bleiben nun einmal Einschränkungen.

Arbeit 4.0
Sieht so die Arbeit 4.0 aus?

Wie geht es aber deshalb voran mit der Arbeit 4.0 in 2016 und überhaupt?

Haben wir die Chance ein Unternehmen von heute auf morgen – sozusagen von Arbeit 3.x auf Arbeit 4.0 – „umzukrempeln“ und geschieht dies vielleicht sogar im nächsten Jahr? Nein, sicher nicht. Mit gutem Beispiel im eigenen Verantwortungsbereich voran gehen, andere überzeugen, positive Ergebnisse kommunizieren („tue Gutes und sprich darüber“), das ist erfolgversprechender. Und ein schrittweises Vorgehen löst auch keine Angst beim Gegenüber (wer immer das konkret ist) wegen Ungewissheit aus, den es sind ja nicht nur die Tools, sondern die Prozesse und damit unsere Arbeitsweisen, die sich ändern. Übrigens wird so auch die Unsicherheit für Unternehmen und uns als Manager überschaubarer und abschätzbarer: Gegenmaßnahmen bei einer Übersteuerung sind leichter möglich und greifen schneller, wenn ich in kleinen Schritten vorangehe.

Fazit

Zusammenfassen lässt sich das mit noch einem passenden Zitat aus dem Grünbuch: „Die Revolution des Digitalen erfordert eine behutsame Evolution des Sozialen“. Da ist dann die eine Seite der Medaille, die Technologie, die sich in den letzen Jahren rasend schnell – eben im Sinne einer Revolution – entwickelt hat. Nicht neu ist die Erkenntnis, dass aber eben nicht die Technik per se einen Prozess ändert, sondern dies nur ermöglicht. Die Prozessänderung, zu der die „Evolution des Sozialen“ gehört, ist es, die aus der technischen Revolution (schnelle Änderung möglich!) eine Evolution (langsame Änderung der Prozesse und des durch den Menschen getriebenen sozialen Aspektes) macht.

Arbeit 4.0 – das ist also nach meinem Verständnis kein Zielbild, das wir mit dem Status quo vergleichen und dann ableiten können „ja, haben wir erreicht“ oder „nein, noch nicht“. Es sind die grundlegenden Werte und möglichen Arbeitsprozesse, die die Basis bilden. Die Technologie ist heute in weiten Teilen schon da, und wenn die Prozesse in den Unternehmen auf den Werten Freiheit und Vertrauen basieren, dann ist aus meiner Sicht eine gute Basis gelegt, dass wir „unser individuelles Leben [in der Arbeitswelt] führen können“ und „in unserem Freiheitsgefühl nicht beschnitten werden“. Wieviele Mitarbeiter dann sich in der Arbeit wirklich frei auf den Achsen Ort, Zeit und Struktur bewegen und in welchem Ausmaß, ist dann nicht mehr entscheidend für die „Arbeit 4.0 im Unternehmen“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert