Demokratie im Unternehmen auf dem Vormarsch?
„Führung übernimmt, wer vom Team die Legitimation dafür erhält“ – dieses kürzlich gelesene Zitat von Stefan Truthän, geschäftsführender Gesellschafter bei hhpberlin, erinnerte mich an meinen Blogpost „Management by Crows(s)election“, in dem es um die zunehmende Verbreitung der Demokratie im Unternehmen, in der zum Beispiel der Chef durch die Mitarbeiter gewählt wird, ging.
Auf der Suche nach neueren Informationen stieß ich dabei auf einen Artikel, in dem über die Wiederwahl von Marc Stoffel, dem CEO des Software-Anbieters Haufe-umantis, berichtet wurde. Schon in meinem letzten Blogpost erwähnt, gibt es bei der Wiederwahl jetzt eine interessante Zusatzinformation: Marc Stoffel hatte dieses Mal vor seiner Wahl angekündigt, das Unternehmen weiter bzw. noch fokussierter als „Hochleistungsunternehmen“ zu positionieren und deshalb auch die Trennung von einigen Mitarbeitern angekündigt. Trotzdem wurde er mit hoher Mehrheit, mit 85%, per demokratischer Wahl (wieder)gewählt, siehe auch die Unternehmens-eigene Veröffentlichung dazu.
Ist dies also _die_ neue Führungsform: der Vorstand oder die Geschäftsführung werden demokratisch gewählt? Nein, ich denke nicht, zumindest nicht flächendeckend. Damit wir uns nicht falsch verstehen: das ist wohl auch nicht der Anspruch derjenigen, die entsprechende Konzepte entwickelt haben, kommunizieren und propagieren. Ich denke, es gibt Situationen für Menschen, für Unternehmen, da passt dieser Führungsansatz gut. Bei kleineren Unternehmen mit Wissensarbeitern, die qua Ausbildung und Aufgabe den Anspruch haben, in einem hochwertigen, sehr guten Unternehmen zu arbeiten vielleicht. Um im Beispiel zu bleiben: In diesem Umfeld ist eine Aussage (einzelnes) Personal abzubauen, um das Unternehmen zu verbessern nicht nur akzeptiert, sondern von den Verbleibenden vielleicht sogar gewünscht. Aber was ist zum Beispiel bei einem Produktions-orientierten Unternehmen, das Mitarbeiter in Deutschland in größerem Umfang als Korrektur vergangener Entwicklungen abbauen will oder muss, unter Umständen sogar um in anderen Ländern mit geringeren Lohnkosten Personal wieder aufzubauen? Da hätte ein Bewerber um den Unternehmensvorsitz mit Ankündigungen, die Personalabbau beinhalten, wohl eher einen schlechteren Stand als ein Bewerber, der diese harten Einschnitte scheut bzw. ihre Notwendigkeit leugnet. Zumindest in einer ersten Wahl – und wenn nach dieser ersten Wahlperiode die Situation des Unternehmens unverändert schlecht wäre? Ich habe meine Zweifel, ob sich dann nicht doch wieder ein Bewerber finden und dann gewählt werden würde, der glauben würde ohne Einschnitte einen Turnaround zu erreichen. Aber würde daraus folgen, dass es einen erfolgreichen Weg ohne Einschnitte gibt, wenn man denn nur lange genug sucht oder probiert? Oder wenn es diesen erfolgreichen Weg ohne Einschnitte nicht gibt, wird dann rechtzeitig genug eine Wahl der Mitarbeiter einen CEO ergeben, der für den harten Weg die Legitimation der Belegschaft bekommt? In dieser Situation das Unternehmen durch demokratische Wahl zu retten – daran fällt es mir schwer zu glauben.
Anderer Blickwinkel: technischer Fortschritt. Wäre ein Unternehmen wie Apple so erfolgreich gewesen, hätte sich Steve Jobs bei einer demokratischen Wahl durchsetzen müssen? Ich lese gerade Jobs‘ Biographie und zweifele daran. Einerseits: Muss ein Vordenker wie Jobs in der Rolle des CEO sein, um das Unternehmen in seine Richtung zu bewegen? Vielleicht nicht, vielleicht kann er es durch seine Überzeugungskraft trotzdem entsprechend lenken, steuern und voran bringen. Andererseits: wenn wir nicht „Gallionsfiguren“ (als CEO) gehabt hätten, die sich mit ihren Ideen „gegen alle Widerstände“ innerhalb und außerhalb eines Unternehmens durchgesetzt hätten, hätten wir dann den heutigen Entwicklungsstand in der Technik? Ein Punkt, der mich bei verschiedenen Crowd-Ansätzen auch beschäftigt: würde eine Menge an Menschen als Ergebnis das Beste erwählen oder eher ein Mittelmaß und Durchschnitt? In einem anderen Bereich, der Kunst, äußerte sich beispielsweise Kulturstaatssekretär Tim Renner eindeutig: „Die Menge entscheidet sich gerne mal für eine Menge Mittelmaß“. Der Management-Tipp des Harvard Business Manager vom 14.04.2015 verweist auch auf einen Artikel zu diesem Thema, überschrieben mit „Rezepte gegen Gruppen-Dummheit“. Kann also über Abstimmungen einer Menschengruppe der notwendige Boden zum Beispiel für disruptive Ideen bereitet werden?
In der Anfang 2015 ausgestrahlten ARTE-Dokumentation „Mein wunderbarer Arbeitsplatz“ wurden weitere Unternehmen, in denen die Demokratie als Führungsprinzip oder zumindest freie Gestaltung der Arbeitsplätze auch in Bezug auf Anwesenheitsregelungen oder Büroeinrichtungen Einzug gehalten hat, vorgestellt. Die meisten von ihnen sind französischer Herkunft (Poulet, ein Keksfabrikant, Favi, ein Hersteller von mechanischen Unterbaugruppen, oder CHRONO Flex, Reparatur von Hydraulikschläuchen), aber selbst ein belgisches Ministerium bzw. ein Förderaler Öffentlicher Dienst („FÖD Mobilität und Transportwesen“) ist darunter.
Eine der interessantesten Kernbotschaften für mich darin: „Kontrolle im Unternehmen abschaffen!“. Nun ist diese Botschaft nicht neu und ich auch schon länger der Vertreter einer Vertrauenskultur im Unternehmen, die virtuelle Arbeit, Home Office et cetera ja erst ermöglicht. Die Begründung allerdings regte mich zum Nachdenken an:
- Es sind lediglich zwei, drei schwarze Schafe, die Situationen und Gegebenheiten egoistisch für sich ausnutzen und aufgrund dieser wenigen schwarzen Schafe werden dann viele bis hin zu allen Mitarbeitern kontrolliert.
- Die Kosten dieser Kontrollen haben derart überhand genommen, dass die Kosten einer Fehlleistung dagegen nicht mehr zu Buche schlagen: also „lieber einzelne Fehlleistungen akzeptieren, das ist immer noch günstiger als alle Mitarbeiter zu kontrollieren“. Beim französischen Unternehmen Favi gibt es deshalb keine Kontrollen mehr: „Wenn Sie alles kontrollieren, dann nehmen die Schlechten überhand. Ohne Kontrolle werden sie aus dem Schwarm, aus der Gruppe, automatisch aussortiert“, so der ehemalige CEO Jean-Francois Zobrist.
Eine dafür vielleicht notwendige Voraussetzung: kleine Einheiten, überschaubare Teams. Favi beispielsweise ist quasi in kleine, autonome Teams (gleich „autonomen Fabriken“) aufgeteilt, die als Aufgabe haben, nur ihren eigenen, einen Kunden zufriedenzustellen, die benötigte Menge für ihn zu produzieren und sich selber dementsprechend zu organisieren. Auch bei Gore-Tex, welches ich im letzten Blogpost zu diesem Thema anführte, gilt der Grundsatz, dass in einem Werk maximal 250 Menschen arbeiten, damit jeder jeden (potenziell) kennt.
Für diejenigen, die sich für weitergehende Diskussionen und Informationen interessieren – mir fiel die Ankündigung zur Podiumsdiskussion „Demokratie im Unternehmen – Nur eine Utopie oder bald Normalität“ am 19.5.2015 in Stuttgart im Rahmen der Tagung Personal2015 Süd auf, moderiert von Alexander Kolberg, dem Redakteur Personalwirtschaft von Wolter Kluwer Deutschland, einem Wissens- und Informationsdienstleister.
Alles in allem also sicher keine Universallösung, die „Demokratie im Unternehmen“. Das Thema wird uns aber mit Sicherheit noch länger, intensiver und kontrovers beschäftigen…