Was spricht denn eigentlich gegen E-Mail?


In einem Zukunftsmagazin von Mercedes las ich neulich von der Firma Pingdom aus dem schwedischen Västerås veröffentliche, ob der Dimension schon fast erschreckende Zahlen einer Internetstatistik: in 2012 wurden täglich von 2,2 Milliarden Menschen 144 Milliarden E-Mails verschickt – davon sind mehr als zwei Drittel unerwünschter Spam. Das sind im Schnitt über 65 E-Mails täglich pro Person.

Eine quantitative Betrachtung – herunter gerechnet auf den Einzelnen

Wenn man nun anschaut, wie viel Zeit der Umgang und die Bearbeitung von E-Mails in Bezug auf unseren beruflichen Alltag ausmacht, so kommen verschiedene Untersuchungen natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber alle zeigen, dass es (deutlich) zu viel ist.

Das McKinsey Global Institute beispielsweise kam in einer Untersuchung 2012 auf 28% oder 11,2 Wochenarbeitsstunden Bearbeitungszeit von E-Mails (von einer 40-Stunden-Woche ausgehend), Professor Daniel Markgraf von der AKAD Hochschule Leipzig auf einen Arbeitstag, also 8 Stunden pro Woche (in letzterer Untersuchung wurde übrigens auch festgestellt, dass durchschnittlich ein weiterer kompletter Tag pro Woche in Besprechungen verbracht wird).

Spannend ist auch das Ergebnis einer Befragung von Mimecast, einem E-Mail Management Unternehmen, bei 2.500 ihrer Kunden. Danach verbringen wir gefühlt sogar 50% unserer Arbeitszeit mit E-Mails.

Woran liegt es, dass wir so viel Zeit mit der Bearbeitung von E-Mails verbringen und das sogar als noch mehr empfinden als es in der Realität sowieso schon ist? Eine der möglichen Antworten könnte eine Untersuchung von harmon.ie, einem Hersteller von Apps für Social Media Lösungen, geben. Danach gaben 48% der befragten Personen zu, dass sie sich – aus Langeweile – in Meetings mit E-Mails auf ihrem Smartphone beschäftigen. Können durch solche Parallelarbeit überhaupt sinnvolle oder qualitativ ansprechende Ergebnisse entstehen? Wohl kaum.

Woraus resultiert dieser Zeitaufwand?

Aus Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit beim Schreiben von E-Mails resultiert erst einmal leicht zu identifizierender, direkt einer E-Mail zuzurechnender Zeitaufwand. Wie viel Zeit muss jeder einzelne Empfänger mit der Durchsicht einer E-Mail verbringen, bevor er weiß, ob und was daraus für ihn folgt und was von ihm erwartet wird? Das gilt auch dann, wenn ihm die E-Mail ohne klare Kenntlichmachung des Zwecks nur zur Information geschickt wurde – lesen und die notwendige Folgeschritte überlegen muss er erst einmal trotzdem. Und dann sind die Mails oft länger als notwendig – frei nach dem neben Goethe auch anderen Personen zugeschriebenen Zitat „Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit“.

Ein anderer Aspekt ist die Unterbrechung der vorherigen Tätigkeit, also der indirekt einer E-Mail zuzurechnende Zeitaufwand. In der Literatur wird ja seit geraumer Zeit von den negativen Aspekten geschrieben, wenn man an seinem Rechner sitzt, an einem Dokument oder anderem konzentriert arbeitet, aber dabei die Benachrichtigung von neuen E-Mails aktiviert ist und man „mal eben schnell“ in den Mailaccount schaut, um zu sehen, wer gerade was geschrieben hat.

Dabei ist es wahrscheinlich eher vernachlässigbar, ob wir nun im Schnitt 64 Sekunden (laut einer Studie von Thomas Jackson von der Universität Cardiff), 68 Sekunden (nach einer Untersuchung von SaneBox, einem Anbieter von Services zum Filtern von E-Mails) oder gar 25 Minuten brauchen (nach einer Untersuchung von Wissenschaftlern einer Universität in Kalifornien in 2004), bevor wir wieder den Faden von unserer vorherigen Aufgabe aufgenommen haben. Das alles ist – wie man in einer Fabrik mit Produktionsmaschinen sagen würde – unnötiger Umrüstaufwand zum Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben.

E-Mails in der Freizeit checken?

Der Drang oder innere Zwang E-Mails zu checken scheint dabei zu allem Überfluss auch noch immer übermächtiger zu werden. Eine Untersuchung von Harris Interactive im letzten Jahr ergab, dass 54% der Befragten E-Mails im Bett lesen und immerhin noch 30% beim Abendessen. Das unterstreichen auch die Ergebnisse der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt, die 60% der Befragten zählen, die außerhalb der Arbeitszeit ihre E-Mails checken, davon zumindest 30% morgens gleich nach dem Aufstehen.

Woher kommt das Problem mit E-Mails, qualitativ wie quantitativ?

Zum einen sind da sicherlich die gerade in Großunternehmen zu beobachtenden, immer größer werdenden E-Mailverteiler. Bevor die Absender einen Adressaten vergessen und damit eventuell in politische oder andere Fallen treten, wird der Verteiler lieber zu groß als zu klein gemacht. Dafür wird oft auch das cc-Feld verwendet. Ob zu Zeiten der physischen Carbon Copy (deren Nachfolger das cc-Feld ist) auch lieber eine Kopie mehr als weniger gezogen und verteilt wurde? Das war damals schon aufgrund der Technik des Durchschlags – im Gegensatz zur E-Mail – gar nicht unbegrenzt möglich.

Eines meiner Fazits dazu hat vor einigen Jahren Wolf Schneider, ehemaliger Vorsitzender der Hamburger Journalistenschule (später: Henri-Nannen-Schule), auf einer Veranstaltung sehr treffend beschrieben: „Einer muss sich plagen“. Gemeint ist damit, dass eine E-Mail (auch auf andere Sachen wie Dokumente anwendbar) entweder mehr Arbeit (gleich Investition) vom Absender erfordert (also z.B. Aufwand zu spendieren, um die richtigen und nur notwendigen Adressaten zu ermitteln und für diese die E-Mail dann kurz und prägnant zu formulieren) oder vom Empfänger (der dann im Zweifelsfall die E-Mail lesen und interpretieren muss, ob sie für ihn wirklich wichtig ist oder er nur der Vollständigkeit oder politischem Proporz halber auf dem Verteiler steht). Und die Entwicklung mit der zunehmend einfacheren Bedienung der technischen Medien geht aus meiner Sicht klar in Richtung der letzten Variante – es werden schnell E-Mails an einen großen Verteiler versendet, oft ohne nachzudenken und nach dem Prinzip „Information verteilen, dann kann man mir im Zweifelsfall nichts vorwerfen, es haben ja alle gewusst“.

Und wenn das „alle“ tun, dann entsteht daraus schnell ein Schneeballeffekt – eine Antwort auf eine solche E-Mail wird an den großen ursprünglichen Verteilerkreis zurückgeschickt und unter Umständen bekommen die auf dem Verteiler stehenden, aber nicht wirklich betroffenen oder zu involvierenden Personen dann gleich ein halbes Dutzend E-Mails alleine zum Ping-Pong-Spiel einer solchen „Diskussion per E-Mail“.

Zum anderen liegt das E-Mailproblem, also die für E-Mails aufzubringende zunehmende Zeit an der mangelnden Arbeit der Absender an der Qualität. Damit komme ich zum obigen Zitat „Tut mir leid für den langen Brief, ich hatte keine Zeit für einen kurzen“ zurück. Gleiches sehen wir zunehmend auch bei E-Mails: statt dem Invest des Absenders in eine klare Botschaft, die transportiert werden soll und eine deutliche Angabe von erwarteten Reaktionen zum Beispiel – statt also Zeit zu investieren in eine kurze, prägnante E-Mail dem Empfänger zuliebe – werden E-Mails oftmals einfach drauf los geschrieben und abgeschickt – man hat ja seiner primären Aufgabe als Informationslieferant Genüge getan, die Information ist geliefert. Ob das aber in für den oder die Empfänger zielgerichteter Weise geschehen ist, ist fraglich und wird zunehmend nachlässiger gehandhabt.

Wie viele unserer E-Mails sind nun wichtig und wie gehen wir mit der E-Mailflut um?

E-Mail Flut
E-Mail Flut
Die Zahlen, wie viele der uns erreichenden E-Mails überflüssig sind, schwanken stark. Da spricht Thierry Breton, der CEO von Atos von 90% („nur 20 von 200 Mails sind relevant“), während Dmitri Leonov von SaneBox von 58% berichtet. Von den 1.500 im Rahmen der Studie der AKAD Hochschule befragten Personen gaben an, dass sie immerhin „nur“ 25% der E-Mails für überflüssig halten.

Und wie gehen wir mit dieser E-Mailflut um? Typisch ist, glaube ich, die von David Shin überlieferte Antwort von einem der beiden Googlegründer, Larry Page oder Sergej Brin (von welchem der beiden ist nicht bekannt), auf einer firmeninternen Fragestunde. Sinngemäß sagte dieser, dass er, jedes Mal, wenn er seinen E-Mailaccount öffnet, von oben anfängt die empfangenen E-Mails zu bearbeiten. Dies macht er so lange, wie er Zeit oder Lust hat, und hört dann auf. Das Ergebnis: einige mit einem glücklichen Händchen für den richtigen Zeitpunkt bekommen ihre Antwort also innerhalb weniger Minuten vom Google-Gründer. Andere, deren E-Mail dann nicht innerhalb der Zeit der Bearbeitung des Posteingangskorbes auftauchte, sondern älter als die von ihm bearbeiteten E-Mails in dieser Session waren, wurden nie bearbeitet und beantwortet (sinngemäß sagte er „die Absender bekommen, was sie erwartet haben: keine Antwort“).

Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Umfrage von Mindjet bei rund 1.000 Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im Mai 2012. Hiernach werden 20% der E-Mails nicht gelesen. Wenn man dann auch noch betrachtet, dass jede dritte E-Mail einen oder mehrere Anhänge hat, von denen ein Drittel nicht oder nicht vollständig gelesen werden, dann ist der potenzielle Informationsverlust durch die Informationsflut wohl nicht mehr zu vernachlässigen. Denn die Antwort auf die Frage unseres Umgangs mit der Flut an E-Mails scheint zu lauten: Kapitulation – bearbeiten, was geht, und den Rest liegen lassen.

Um nur ein kritisches Beispiel für diese Überflutung und ihre Gefahren zu geben, schauen wir einmal kurz nach Amerika: Die Rechtsanwälte von Steve Cohen, dem CEO von SAC Capital, gaben im Juli diesen Jahres als Begründung für die Nichtbeachtung einer Warnung vor dem Insiderhandel seiner Firma, die nun dafür angeklagt wird, an, dass er die warnende E-Mail eines Mitarbeiters nicht beachtet habe, da er 1.000 E-Mails, darunter viele von Kunden, bekomme.

Heißt das alles also, dass wir mit der Einführung oder besser der Möglichkeit mit Social Media Enterprise Plattformen das E-Mailaufkommen zu ersetzen oder zumindest zu reduzieren, das Problem einfach lösen können? Nein, natürlich nicht. So wie ich im zweiten Teil dieser Serie schrieb, dass „Social Media Tools einzuführen nicht nur eine technische Aufgabe ist“, sondern dafür auch konzeptionell gearbeitet und eine entsprechende Unternehmenskultur vorhanden sein muss, so kann ich nicht durch den einfachen Austausch einer Software (E-Mail Programm) durch eine andere Software (Social Media Enterprise Platform) dieses Problem lösen. Ich würde mit dieser eindimensionalen Betrachtung nur die unnötig vielen E-Mails in unnötig viele Nachrichten im neuen Tool verlagern.

Im nächsten Beitrag dieser Serie soll es deshalb darum gehen, wie wir effizient mit E-Mails arbeiten können, bevor der übernächste Beitrag sich mit einer Übersicht und später dann mit den Erfolgsfaktoren von Social Media Tools beschäftigt.


Quellen:



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