Social Enterprise Plattformen – Facebook für Firmen?

Was bringen Social Enterprise Plattformen – sind das nur „Facebooks in Unternehmensgestalt“, wo jeder Mitarbeiter von seinem Urlaub oder neuesten Gimmicks berichtet und Restaurants für (vielleicht sogar Geschäfts-) Essen empfiehlt?

Mitnichten, wenn man es denn anscheinend richtig angeht und konsequent umsetzt. So gibt es aus verschiedenen Untersuchungen solch imponierende Zahlen wie 20% bis 25% mehr Produktivität von Wissensarbeitern laut McKinsey Global Institute in der Studie „The Social Economy“ vom Juli 2012 und laut einer Schätzung von Deloitte sollten schon Ende letzten Jahres 90% der Fortune 500 Unternehmen über ein Soziales Unternehmensnetzwerk verfügen. Aber folgt aus diesen Zahlen und dem Eindruck „fast alle tun es“ auch „die, die es tun, wissen, was sie tun und haben einen Vorteil“ und weiter, dass man eine Social Enterprise Plattform installieren muss, um im Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren?

Argumente und Superlativen sind jedenfalls reichlich und anscheinend bei allen Beteiligten vorhanden, Graham Kittle von IBM spricht beispielsweise im „a smarter planet blog“ von nichts weniger als einer rund um Wissen aufgebauten, möglichen neuen Produktionsstraße: statt aus Stahl Flugzeuge zu bauen, entwickeln wir Innovationen aus Ideen. Und mit dieser – wenngleich doch sehr weit gegriffenen – Zukunftsperspektive wird langsam „ein Schuh draus“. Wenn laut der IBM CEO Study von 2012, „Leading Through Connections“, 71% der CEOs sagen, dass das humane Kapital der wichtigste Erfolgsfaktor [für nachhaltigen Erfolg] ist und wir von einer Wissensgesellschaft sprechen, in die wir uns entwickeln oder in der wir uns bereits befinden, dann sind es sehr wichtige, ja existentielle Ziele für die Unternehmen, zum einen dieses Kapital zu nutzen beziehungsweise insbesondere die [technologische] Infrastruktur für die Nutzung bereitzustellen, und zum anderen die Mitarbeiter als „das humane Kapital“ an das Unternehmen zu binden beziehungsweise neue Mitarbeiter zu interessieren und zu gewinnen.

Während der zweite Aspekt, soziale Medien und neue Technologien zur Mitarbeitergewinnung bzw. Steigerung der Unternehmensattraktivität für (potenzielle) Mitarbeiter häufig in Artikeln und Berichten aufgegriffen wird, möchte ich mich heute dem aus meiner Sicht eher unterrepräsentierten ersten Aspekt zuwenden. Einen Nachholbedarf zur Nutzung von Social Media zu Produktivitätssteigerungen (und nicht zu Marketingzwecken) veranschaulicht auch das Ergebnis einer IDG Business Media / Trendmonitor-Umfrage. Fünf der sechs wichtigsten Argumente für die Nutzung waren Marketinggründe und Aspekte der Außenwirkung wie modernes Image, Neuheiten präsentieren, Motivation für Mitarbeiter, Neukundengewinnung und Intensivierung des Kundenkontakts. Nur einmal, mit rund 26% an dritter Stelle, steht mit „Schnellere Kommunikation mit Partnern und Kunden“ ein durchaus als „(interner) Produktionsfaktor“ anzusehender Aspekt für die Nutzung von allgemeiner gefassten Social Media im Unternehmen.

Dabei gibt es mindestens zwei große Themenblöcke, mit denen die interne Produktivität mit Social Enterprise Plattformen (SEP) gesteigert werden kann – da ist zum einen das Wissensmanagement und die Identifikation von Fachwissen im Unternehmen und dann gibt es zum anderen den Themenblock der Kommunikation und Zusammenarbeit.

Produktionsfaktor SEP: Innovationen und Trends

Hier springt einem sicher zuerst der Aspekt der Ideenfindung und Generierung von Innovationen im Unternehmen ins Auge, von dem ja auch Graham Kittle in seinem Artikel über „Produktionsstraßen der Zukunft“ sprach. Aus der Geschwindigkeit und der Disruption von Fortschritten in nahezu allen Geschäftsumfeldern heutzutage können unter anderem zwei Konsequenzen gezogen werden. Zum einen muss ein Unternehmen ständig auf Weiterentwicklung bedacht sein, nie war das unter anderem Rudolf von Bennigsen-Foerder zugeschriebene Zitat „Stillstand ist Rückschritt“ für den Wert eines Unternehmensportfolio wahrer als heute – wenn Wettbewerber ihre Produkte weiterentwickeln, so darf das eigene Unternehmen, wenn es nachhaltig Erfolg haben will, nicht stillstehen. Zum anderen muss immer weiter nicht nur an Weiterentwicklungen, sondern an Innovationen, ja möglichst disruptiven Charakters, gearbeitet werden. Diese fallen aber nicht vom Himmel und sind insbesondere auch keine Themen, die durch „einfaches Weiterdenken“ oder Fortführen der laufenden Gedanken, Projekte oder Produkte entstehen.

Wichtig für Innovationen, insbesondere der disruptiven Art, ist ein fachübergreifender Austausch. Dieser entsteht, wenn Menschen aus verschiedenen Hintergründen zusammengebracht werden und miteinander kommunizieren. Dafür muss ein entsprechendes Umfeld geschaffen werden, in dem Social Enterprise Plattformen die technische Grundlage zur Integration aller Fachdomänen, Regionen und Kulturen darstellen können. In einem weiteren Schritt können neben der Einrichtung von einzelnen Gruppen zum Austausch für spezifische Ideen oder Innovationen mit einer Erweiterung auch um externe Mitarbeiter oder Kunden im Sinne eines Extranet auch diese als wertvolle Ideen- und Feedbackgeber agieren.

Mit der für solche Plattformen üblichen Kommentarfunktion können – neben der ebenfalls vorhandenen Bewertungsfunktion für Kommentare – durch die Menge der involvierten Personen neue Ideen entwickelt und identifiziert werden. Eine solche Plattform kann dabei auch stillere Menschen einbinden und aufmuntern „ihre Stimme zu erheben“, was weiteren wertvollen, sonst möglicherweise ungehörten oder überhörten Input generieren kann. Dazu gehören aber Spielregeln auf der Plattform wie Wertschätzung der Kollegen, Fairness in Kommunikation et cetera, die durch Moderatoren sichergestellt werden müssen. Es gilt jedem zuzuhören, der etwas zu sagen hat – gute Ideen können von jeder Person in jeder Rolle kommen und im Unternehmen mit den richtigen Personen in der Gemeinschaft gewinnbringend weiterentwickelt werden.

In der Studie Deutschland 2030 vom BDI Arbeitskreis „Wertschöpfungsorientierte Innovationsstrategien“ mit Unterstützung von Z_punkt, einem Institut für strategische Wirtschaftsfragen, wird dementsprechend schon im Vorwort betont, dass „klassische Branchengrenzen verschwinden, es entstehen neue, übergreifende Handlungsfelder und Kooperationen“. Und „in der Forschung setzt sich interdisziplinäres Denken endgültig durch, Branchen stehen sich nicht mehr fremd gegenüber, sondern kooperieren, sofern sie an einem gemeinsamen Geschäftsmodell partizipieren (Win-Win)“.

Produktionsfaktor SEP: „Big Data“ der Unternehmenskommunikation

Während Mitarbeiter eher aus ihrer eigenen Perspektive, quasi bottom-up, auf die Plattform schauen und sich in der Regel für bestimmte Ausschnitte interessieren und dort partizipieren, kann sich für Unternehmen dabei auch noch eine andere Sicht – quasi top-down – als sehr wertvoll erweisen. Über Auswertungstools, ob unter dem Schlagwort Data Mining, Business Intelligence oder Big Data, können die Diskussionen auf der Plattform ausgewertet werden. Dabei ergeben sich für den Innovationsaspekt zum Beispiel aufgrund nicht nur des Durchschnitts der Bewertungen für ein Thema, sondern auch aufgrund der Quantität der Kommentare und Bewertungen Rückschlüsse. Diskussionen, die die meisten Kommentare auf sich ziehen, sollten sicher einmal genauer angeschaut werden. Auch Identifikation von heißen Themen mit Hilfe von Tag Clouds, die die Häufigkeitsverteilung der Schlagwörter grafisch darstellen, sind möglich. Wenngleich auch hier eine Balance gewahrt werden sollte und der Blick nicht nur auf die „trending topics“, sondern auch auf „am Rand“ schlummernde Ideen gerichtet sein sollte. Alles kann eben nicht automatisiert (ausgewertet) werden.

Diese Auswertungen sollten allerdings nicht nur auf neue Ideen und Innovationen angewendet werden, sondern insgesamt auf die Diskussionen auf der Plattform. Was sind die Themen, über die „das Unternehmen“ spricht, welches die Probleme, was beschäftigt die meisten Mitarbeiter und sollte vom Management aufgegriffen und kommentiert, erklärt werden. Hierdurch kann eine ganz neue Art der Kommunikation und Transparenz im Unternehmen entstehen – der Flurfunk, der sich naturgemäß in der physischen Welt auf einzelne Standorte, Bereiche und Flure beschränkt und oft von Führungskräften nicht oder nur schwer wahrgenommen werden kann, wird über solche Plattformen und insbesondere auch Auswertungen sichtbar. Das Management kann lernen, was die Belegschaft beschäftigt, was gegebenenfalls Arbeitskraft bindet, weil interne Unsicherheiten bestehen und diese so aufgreifen, adäquat reagieren und sie beseitigen.

Ein, so denke ich wesentlicher Punkt, ist dabei, dass Führungskräfte nicht nur zuhören und als „Big Brother“ im Hintergrund lauschen, sondern sich aktiv an Diskussionen auf der Plattform beteiligen müssen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass eine Plattform nur eingeführt wird, um die Mitarbeiter quasi zu belauschen oder gar noch negativ nach dem, was sie dort diskutieren oder posten, zu bewerten. Kritik muss trotzdem erlaubt sein – in beide Richtungen, sonst wird das Ziel der Transparenz und Unterstützung des Informationsaustauschs und Kommunikation ad absurdum geführt.

Social Graph für Social Enterprise Plattformen
Social Graph für Social Enterprise Plattformen

Quelle: Paul Butler, „Visualizing friendships“, Facebook Note, 13. Dezember 2010

Interessanterweise können mittlerweile auch Interpretationen der Beziehungsgeflechte benutzt werden, zum Beispiel um Influencer oder „Wortführer“ zu identifizieren. Das Konzept des Social Graph, der diese Beziehungsgeflechte visualisiert, wurde erstmals auf einer Facebook Konferenz im Jahr 2007 vorgestellt, wie Thomas Claburn in einem Artikel in der Information Week vom 24.05.2007 schreibt: „Facebook opens up to developers, partners“.

Ergänzung

Es gibt in der Literatur noch verschiedenere, weitere Aspekte, mit denen für eine Produtivitätssteigerung durch Social Enterprise Plattformen geworben wird. So ist hier vor allem auch das hehre Ziel der Integration von (zahlreichen) Tools der Unternehmenslandschaft in eine solche Plattform hervorzuheben, ob sich dies in der Aussage „Unternehmenstools können integriert und so die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine (…) gefördert werden“ manifestiert oder in „verbinden Sie Ihr soziales Unternehmensnetzwerk mit den verschiedenen Programmen, die in Ihrem Unternehmen genutzt werden“. In diesem Punkt bin ich zur Zeit aber noch eher skeptisch, insbesondere wenn dann als mögliche Tools ERP- oder CRM-Programme genannt werden. Das Ziel mit einem Single-sign-on und einer zentralen Anlaufstelle für den Mitarbeiter den Aufwand für den Wechsel von einem zum anderen System zu sparen, ist sicher lobenswert, ob hier eine Social Enterprise Plattform aber die richtige Klammer ist … ich kann mir das momentan schwer vorstellen.

Fazit

In einem Blogpost von Cisco heißt es treffenderweise „Die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt bei den richtigen Personen hilft die richtigen Entscheidungen zu treffen“ – unsere Herausforderung als Führungskräfte ist nun „nur noch“ dieses umzusetzen, d.h. die richtigen Menschen insbesondere über Distanzen und Organisationsgrenzen hinweg hierzu zusammenzubringen. Zu diesem Ziel kann eine Social Enterprise Plattform die Unternehmen ein gutes Stück voranbringen!

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